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Allgemeines

Nachdem Lehre und Rechtsprechung auch schon vor Einführung des § 90 StGB erkannten, daß der Einwilligung des Verletzten in bestimmten Bereichen strafbefreiende Wirkung zukommt, schuf der Gesetzgeber diese Bestimmung als etwas völlig Neues. Diese nunmehr ausdrückliche Regelung dient einerseits dazu, die Rechtslage deutlich zu machen, und andererseits, eine Erweiterung der strafbefreienden Wirkung der Einwilligung bei KV herbeizuführen, was bis zu diesem Zeitpunkt aus Unsicherheit und unter deutlicher Zurückhaltung in Lehre und Rechtsprechung gehandhabt wurde. Aus der Entstehungsgeschichte des § 90 StGB ist dies ersichtlich.

Abgestellt kann auf die geschichtliche Entwicklung der Einwilligung werden, welche zuerst von Ulpian erwähnt worden war - "Nulla iniuria est, quae in volentem fiat", dh "Was mit dem Willen des Einwilligenden geschieht, ist kein Unrecht"2.34. Daraus entstand der spätere Grundsatz "volenti non fit iniuria", der auch im germanischen Recht weitgehend anerkannt war und als Gewohnheitsrecht weiterexistierte. Die Constitutio Criminalis Theresiana aus dem Jahre 1768 enthielt eine ausdrückliche Vorschrift betreffend der Einwilligung. Diese besagte, daß Übeltaten nicht nur an Unsinnigen, Kindern, Schlafenden und Toten, sondern auch "an denen, so ihrem Schaden und Untergang selbst verlangen", begangen werden können und der Täter der öffentlichen Strafbarkeit weiterhin unterworfen bliebe. Ebenso im "Allgemeinen Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung" von 1787 (Josephina). Hier hatte eine Einwilligung des Opfers also keinen Einfluß auf die Strafbarkeit einer Tat. Zu dem selben Ergebnis kommen auch die darauffolgenden Gesetzeswerke (§ 4 des "Gesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizey-Übertretungen von 1803, § 4 des "Strafgesetzes über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen" von 1852, § 4 StG von 1945).2.35

Obwohl im Entwurf des StGB - Strafgesetzbuch von 1927 in § 264 - eine Regelung enthalten war, wodurch eine wirksame Einwilligung in die Körperverletzung dann zur Straffreiheit führte, wenn die Tat nicht gegen die guten Sitten verstößt, dauerte es bis zum Inkrafttreten des geltenden StGB im Jahre 1975 und zur Normierung des heute geltenden Einwilligungsparagraphen noch einige Zeit. Einen Vorläufer im früheren Recht gibt es nicht, jedoch wurde von Rechtsprechung und Lehre schon erheblich früher die strafbefreiende Wirkung der Einwilligung in manchen Bereichen anerkannt. Der JA beschloß 1975 eine bedeutende Umgestaltung, nachdem die Einwilligungsregel im StGB 1927 bis zur RV 1971 nur unwesentlich verändert wurde: "Die durch Einwilligung begründete Rechtfertigung sei nicht immer dann ausgeschlossen, wenn schlechthin die Tat gegen die guten Sitten verstößt, sondern nur dann, wenn das für die Verletzung oder Gefährdung als solche zutrifft."2.36 Es wurde sohin nicht mehr auf die Tat abgestellt, Gegenstand der Einwilligung kann in Wahrheit nur die mehr oder weniger riskante Handlung des Täters sein.2.37

Auch wurde zu diesem Zeitpunkt der Abs 2 (Sterilisation) eingefügt, den es zuvor nicht gab. Auch die deutsche Rechtsprechung kennt den Ausschluß der Strafbarkeit (§ 228 dStGB), wenn der Träger eines Individualrechtsgutes die Strafbarkeit des Eingreifenden mit seinem Willen beeinflußt.2.38

Somit ist eine spezielle Einwilligungsregel für Körperverletzungen und Gefährdungen der körperlichen Sicherheit konzipiert worden, worunter sowohl vorsätzliche KV gem § 83 ff StGB als auch fahrlässige KV gem § 88 StGB und die Gefährdung der körperlichen Sicherheit gem § 89 StGB fallen.

Der eigentliche Grund für die strafbefreiende Wirkung einer Einwilligung des Verletzten ist wie folgt zu sehen: Es ist unbestreitbar für die körperliche Integrität, daß das Rechtsgut im geschützten Zustand an sich und nicht etwa bloß in der autonomen Herrschaft des Berechtigten über diesen Zustand besteht. Das in § 90 StGB vorgesehene Sittenwidrigkeitskorrektiv wäre daher nicht erklärbar. Daraus folgt, daß die Einwilligung des Berechtigten in eine Verletzung oder Gefährdung der körperlichen Integrität das Rechtsgut bzw seine Beeinträchtigung für sich nicht beseitigt. Weiters ergibt sich daraus, daß die strafbefreiende Wirkung der Einwilligung den in der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität liegenden Unwert kompensiert, da aufgrund des ausgeübten Selbstbestimmungsrechtes des Beeinträchtigten der Wert des Rechtes eben den Unwert der Beeinträchtigung nicht überwiegt.2.39

Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß eine Verletzung bei Einwilligung des Verletzten nach dem Prinzip des überwiegenden rechtlichen Interesses gerechtfertigt sein könnte, soweit der damit verbundene Nachteil nach allgemeiner Anschauung nicht größer ist als der zu erwartende Vorteil. Es besteht weiters weitgehend Übereinstimmung darin, daß die strafrechtliche Bedeutung der Einwilligung auf der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes, also des Rechtes, sich nach Belieben zu verhalten, des Einzelnen beruht, welches Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit ist.

Obwohl die allgemeine Handlungsfreiheit in Österreich nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich verankert ist, hat Merli2.40 nachgewiesen, daß sie aber insofern Verfassungs-/Rechtsqualität aufweist, als sie in einem "Baugesetz" vorausgesetzt wird und daher ein Teil des rechtsstaatlichen Prinzips des B-VG ist. Dies beinhaltet, daß der Einzelne bei ihm zugeordneten Rechtsgütern eine Beeinträchtigung gestatten und seine ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit erreichen kann. Grundgedanke ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes des einzelnen in bezug auf die ihm von der Rechtsordnung zugewiesenen Güter als Teil der verfassungsrechtlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit.

Die Einwilligung muß auch noch andere Voraussetzungen erfüllen. Sie ist nur rechtswirksam, wenn keine wesentlichen Mängel bestehen, desweiteren muß sie ernstlich und freiwillig sein und darf nicht an gravierenden Willensmängeln (Zwang, Irrtum, Drohung, Täuschung) leiden (vgl § 869 1. Satz ABGB), sie kann ausdrücklich oder konkludent iS des § 863 ABGB erfolgen und muß, um rechtswirksam zu sein spätestens bei der Tat oder vor der Tat erteilt werden, weil mit Begehung der Tat der staatliche Strafanspruch entsteht und nicht durch nachträgliche Zustimmung oder Verzeihen beseitigt werden kann.2.41

Auch ist sie nur dann rechtswirksam, wenn der Einwilligende weiß, welche Konsequenzen sich für sein Rechtsgut ergeben, es muß sich also um einen "wirklichen Akt der Selbstbestimmung" handeln. Die derart angesprochene Einwilligungsfähigkeit und Einsichtsfähigkeit (konkrete Dispositionsfähigkeit) erfüllt nämlich eine wichtige Schutzfunktion. Es soll nämlich nur demjenigen, der die Bedeutung seiner Lage wirklich richtig einschätzen kann, die Verantwortung aufgebürdet werden, die bei Preisgabe eines geschützten Rechtsgutes entsteht. Sozusagen als staatlich beanspruchter und ausgeübter Schutz vor sich selbst.2.42

Geschäftsfähigkeit iS des bürgerlichen Rechts wird nicht verlangt, vielmehr wird auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit abgestellt. Natürlich kann nur derjenige über ein Rechtsgut verfügen, der selbst Rechtsgutträger ist. Im Einzelfall (Eigentum und Vermögen) kann dies aber auch ein von ihm Ermächtigter sein.2.43

Desweiteren muß aber unterschieden werden, ob es sich bei diesen Gütern um disponible Rechtsgüter, also um solche handeln muß, die der freien Verfügungsberechtigung des einzelnen überlassen sind, oder nicht. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen unbeschränkt oder frei disponiblen Rechtsgütern, zu welchen zB die Individualrechtsgüter Freiheit, Eigentum, Vermögen, Ehre und Privatsphäre gehören, und grundsätzlich disponiblen Rechtsgütern, zu welchen zB das ungeborene Leben und die körperliche Integrität zählen.

Bei den frei oder unbeschränkt disponiblen Rechtsgütern verletzt nur derjenige das Rechtsgut, der unter Mißachtung der Autonomie des Berechtigten auf den Verfügungsgegenstand, welche eine notwendige Voraussetzung der Rechtsgutverletzung darstellt, tatbestandmäßig einwirkt Unter diese frei disponiblen Rechtsgüter fällt auch die sexuelle Selbstbestimmung.

Bei nur grundsätzlich disponiblen Rechtsgütern, hat der Gesetzgeber "ein allgemeines Interesse an einem disponiblen Rechtsgut bekundet" und möchte er dieses deshalb "unabhängig vom Willen des Verfügungsberechtigten schützen". Dies zeigt sich zB daran, daß noch eine (objektive) Prüfung der Erwünschtheit des Eingriffes neben der Einwilligung stattfindet, dann ist eine mit Zustimmung des Rechtsgutträgers begangene Verletzung dieses Rechtsgutes strafrechtlich relevant. Zum Unterschied zur tatbestandausschließenden Einwilligung (bei gänzlich frei disponiblen Rechtsgütern) ist nämlich aufgrund der Wertung des Gesetzgebers das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines Rechtsguts ungeachtet freiwilliger Preisgabe des Rechtsgutes durch den Rechtsgutträger dann schützenswert, wenn dieses höher wiegt als die Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes.2.44

Zu beachten ist, das bei Körperverletzungsdelikten und bei der Gefährdung der körperlichen Sicherheit die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung des § 90 Abs 1 StGB an ein zusätzliches Erfordernis gebunden ist. Die Verletzung oder Gefährdung darf als solche nicht gegen die guten Sitten verstoßen. "Diese Klausel ist Ausdruck der überkommenen Auffassung, daß die körperliche Integrität nur ein beschränkt disponibles Rechtsgut ist."2.45

Es kommt sohin nicht darauf an, ob die Tat selbst oder gar die Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt, sondern nur darauf, ob die entstandene Verletzung oder Gefährdung als solche sittenwidrig ist. Dieses Abstellen allein auf die Verletzung führt aber in vielen Fällen zu einem äußerst unbefriedigenden Ergebnis, da auch die Berücksichtigung der Ziele und Beweggründe der Tat mit ausschlaggebend sein sollten.2.46 Das Gesetz formuliert: "(...) ist nicht rechtswidrig (...) und die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt." Die Einwilligung wird also gegenstandslos, wenn der Erfolg gegen diese sogenannten guten Sitten (contra bonos mores) verstößt, also wenn dem vorbildlichen Menschen die Sorge um die Gesundheit des Opfers wichtiger wäre, als die Rücksichtnahme auf dessen Wünsche.


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2000-10-19