Dagegen stimmen die Prostituierten fast sämtlich darin überein, dass es eine
Anzahl von Männern gibt, welche gern "Sklaven" spielen, d. h. sich gerne so
nennen hören, sich schimpfen und treten, auch schlagen lassen. Wie gesagt, die Zahl der
Masochisten ist grösser, als man es sich bisher hat träumen lassen.
Die Lektüre Ihres Kapitels über diesen Gegenstand machte, wie Sie sich denken können,
einen ungeheuren Eindruck auf mich. Ich möchte an eine Heilung, sozusagen an eine Heilung
durch Logik, glauben, nach dem Motto: "tout comprendre c'est tout guérir".
Freilich ist das Wort Heilung mit Einschränkung zu verstehen, und zwar muss man
auseinanderhalten: allgemeine Gefühle und konkrete Vorstellungen. Die ersteren sind
niemals zu beseitigen. Sie kommen wie der Blitz und sind da, man weiss nicht von wannen
und wieso.
Aber die Ausübung des Masochismus durch Schwelgen in konkreten zusammenhängenden
Vorstellungen lässt sich vermeiden oder doch eindämmen.
Jetzt liegt die Sache anders. Ich sage mir: Was, du begeisterst dich an Dingen, die nicht
nur das ästhetische Gefühl anderer, sondern auch dein eigenes reprobiert? Du findest
etwas schön und begehrenswert, was andererseits, nach deinem eigenen Urteil, hässlich,
gemein, lächerlich und unmöglich zugleich ist? Du sehnst eine Situation herbei, in die
du in Wirklichkeit niemals gelangen möchtest? Diese Gegenvorstellung wirkt sofort hemmend
und ernüchternd, und bricht den Phantasien die Spitze ab. Tatsächlich habe ich auch seit
der Lektüre Ihres Buches (etwa Anfang dieses Jahres) nicht ein einziges Mal mehr
geschwelgt, obwohl die masochistischen Anwandlungen selbst sich in den regelmässigen
Intervallen einstellten.
Im übrigen muss ich gestehen, dass der Masochismus trotz seines stark pathologischen
Charakters nicht nur nicht imstande ist, mir den Genuss des Lebensglückes zu vereiteln,
sondern überhaupt auch nicht im geringsten in mein äusseres Leben eingreift. In nicht
masochistischem Zustande bin ich, was Fühlen und Handeln anlangt, ein äusserst normaler
Mensch. Während der masochistischen Anwandlungen ist zwar im Gefühlsleben eine grosse
Revolution ausgebrochen, meine äussere Lebensweise erleidet jedoch keine Aenderung. Ich
habe einen Beruf, welcher es mit sich bringt, dass ich mich viel in der Oeffentlichkeit
bewege. Ich übe denselben auch im masochistischen Zustande ebenso aus wie sonst.
Der Verfasser der vorstehenden Aufzeichnungen übersandte mir ferner noch die folgenden Bemerkungen:
I. Masochismus ist meiner Erfahrung gemäss unter allen Umständen angeboren und keineswegs vom Individuum gezüchtet. Ich weiss es positiv, dass ich niemals auf das Gesäss geschlagen worden bin, und dass meine masochistischen Vorstellungen von frühester Jugend an sich zeigten, und dass ich, so lange ich überhaupt zu denken vermag, derartige Gedanken hegte. Wäre die Entstehung derselben die Folge eines bestimmten Ereignisses, insbesondere eines Schlages gewesen, so würde ich ganz bestimmt die Erinnerung hieran nicht verloren haben. Charakteristisch ist, dass die Vorstellungen bereits vorhanden waren, ehe noch Libido überhaupt vorhanden war. Damals waren die Vorstellungen auch gänzlich geschlechtslos. Ich besinne mich, dass es mich als Knabe stark anregte (um nicht zu sagen aufregte), als ein älterer Knabe mich duzte, während ich zu ihm "Sie" sagte. Ich drängte mich zu einer Unterhaltung mit demselben, wobei ich dafür sorgte, dass diese gegenseitige Anrede möglichst häufig erfolgte. Später, als ich geschlechtlicher wurde, hatten derartige Sachen nur dann Reiz, wenn sie in Beziehung zu einer Frau, und zwar zu einer (relativ) älteren standen.