sexuellen Bedürfnis unter seiner eigenartigen, zweifellos durch die
züchtigenden Rutenstreiche geweckten Sinnlichkeit litt, schmachtend in der Begierde und
ausser stand, ihr Verlangen zu offenbaren. Es wäre aber irrig, zu glauben, dass es
Rousseau bloss um seine Flagellation zu tun gewesen wäre. Diese erweckte nur einen dem
Masochismus zuzuzählenden Vorstellungskreis. Darin liegt jedenfalls der psychologische
Kern der interessanten Selbstbeobachtung. Das Wesentliche bei R. war das
Unterwerfungsgefühl unter das Weib. Dies geht klar aus seinen "Confessions"
hervor, in welchen er ausdrücklich hervorhebt:
"Être aux genoux d'une maitresse impérieuse, obéir à ses ordres, avoir des
pardons à lui demander, étaient pour moi de très douces jouissances."
Diese Stelle beweist doch , dass das Bewusstsein der Unterwerfung, Demütigung vor dem
Weibe die Hauptsache war.
Freilich war Rousseau selbst in einem Irrtum befangen, indem er annahm, dass dieser Drang,
sich vor dem Weihe zu demütigen, allein durch Ideenassoziation aus der Vorstellung der
Flagellation vorhanden sei:
"N'osant jamais déclarer mon goût, je l'amusias du moins par des rapports qui m'en
conservaient l'idée."
Erst im Zusammenhang mit den jetzt konstatierten so zahlreichen Fällen von Masochismus, unter denen so viele sind, welche mit Flagellation durchaus nichts zu tun haben, so dass der primäre und rein psychische Charakter des Erniedrigungstriebes klar wird, kann die volle Einsicht in Rousseaus Fall gewonnen und der Irrtum aufgedeckt werden, in den er bei der Selbstzergliederung seines Zustandes notwendig geraten musste.
Mit Recht macht auch Binet (Revue antropologique XXIV, p. 256). welcher den Fall Rousseau eingehend analysiert, auf diese masochistische Bedeutung desselben aufmerksam, indem er sagt: "Ce qu'aime Rousseau dans les femmes, ce n'est pas seulement le soucril froncé, la main levée, le regarde sévère, l'attidude impérieuse c'est aussi l'état émotionnel, dont ces faits sont la traduction extérieure; il aime la femme fière, dédaigneuse, l'écrasanet à ses pieds du poids de sa royale colère."
Die Erklärung dieses psychologischen rätselhaften Faktums sucht und findet Binet in seiner Annahme, dass es sich hier um Fetischismus handle, nur mit dem Unterschied, dass das Objekt des Fetischismus, also Gegenstand der individuellen Anziehung (Fetisch), nicht eine körperliche Sache, wie z. B. eine Hand, ein Fuss, sondern eine geistige Eigenschaft sein kann. Er nennt diese Schwärmerei "amour spiritualiste" im Gegensatz zu "amour plastique", wie sie der gewöhnliche Fetischismus aufweist.
Diese Bemerkungen sind geistreich, aber sie geben nur ein Wort zur Bezeichnung einer Tatsache, keine Erklärung für dieselbe. Ob überhaupt eine Erklärung möglich sei, wird uns später beschäftigen.