sexualis gedeutet werden. Er ist eine Störung oder Deviation in der Evolution psycho-sexualer Vorgänge auf dem Boden psychischer Degeneration.

Dass Wollust und Grausamkeit häufig miteinander verbunden auftreten, ist eine längst bekannte Tatsache. Schriftsteller aller Richtungen haben auf diese Erscheinung hingewiesen 1)

Blumröder (Ueber Irresein, Leipzig 1836, p. 51) hominem vidit, qui compluria vulnera in musculo pectorali habuit, quae femina valde libidinosa in summa voluptate mordendo effecit [sah einen Mann mit zahlreichen Wunden der Brustmuskulatur, wo ihn eine sehr leidenschaftliche Frau auf dem Gipfel der Wollust gebissen hatte].

Ball berichtet aus seiner "Clinique St. Anne" von einem aussergewöhnlich kräftigen Epileptiker, der während des Koitus seiner Konsors die Nase zerbissen und Stücke derselben verschluckt hatte.

Ferriani (Archiv. delle psicopatie sessuali I 1896 p. 106) erzählt von einem jungen Menschen, der ante coitum [vor dem Koitus] mit der Geliebten raufte, sie inter coitum [während des Koitus] biss und und kniff, "weil er sonst keinen Genuss hatte". Eines Tages Klage der puella, weil er sie zu stark verwundet hatte.

In einer Abhandlung "Ueber Lust und Schmerz" (Friedreichs Magazin für Seelenkunde 1830, II, 5) macht er speziell aufmerksam auf den psychologischen Zusammenhang zwischen Wollust und Mordlust. Er verweist in dieser Hinsicht auf die indische Mythe von Siwa und Durga (Tod und Wollust, auf die Menschenopfer mit wollüstigen Mysterien, auf die sexuellen Triebe in der Pubertät mit wollüstig gefühltem Drang zum Selbstmord, mit Peitschen, Zwicken, Blutigstechen der Genitalien in dunklem Drang nach Befriedigung der Geschlechtslust).

Auch Lombroso (Verzeni e Agnoletti, Roma 1874) bringt zahlreiche Beispiele für das Auftreten von Mordlust bei hochgesteigerter Wollust.

Umgekehrt tritt oft, wenn die Mordlust aufgestachelt ist, in ihrem Gefolge die Wollust auf. Lombroso führt op. cit. die von Mantegazza erwähnte Tatsache an, dass sich den Schrecken einer Plünderung seitens der Soldateska regelmäßig viehische Wollust hinzugeselle 2).

Diese Beispiele stellen Uebergänge zu ausgesprochen pathologischen Fällen dar.

Belehrend sind die Beispiele entarteter Cäsaren (Nero, Tiberius), die sich daran ergötzten, Jünglinge und Jungfrauen vor ihren Augen abschlachten zu lassen, nicht minder die Geschichte jenes Scheusals, des Marschalls Gilles de Rays (Jacob, Curiosités de l'histoire de France. Paris 1858), der 1440 wegen Schändung und Tötung, die er während 8 Jahren an über 800 Kindern hegangen hatte, hingerichtet wurde. Wie dieses Ungeheuer bekannte, war es durch die Lektüre des Suetonius und die Schilderungen der Orgien eines Tiber, Caracalla usw. auf die Idee gekommen, Kinder in seine Schlösser zu locken, sie unter Martern zu schänden und dann zu töten. Der Unmensch versicherte, bei der Verübung dieser Taten eine unerklärliche Seligkeit ge-


1) U. A. Novalis in seinen "Fragmenten", Görres, "Christliche Mystik" Bd. III, S.460.

2) In der Exaltation des Kampfes drängt sich die Vorstellung der Exaltation der Wollust ins Bewusstsein. Vgl. bei Grillparzer die Schilderung einer Schlacht durch einen Krieger:
"Und als nun erschallt das Zeichen, - beide Heere sich erreichen. - Brust an Brust, - Götterlust! - herüber, hinüber, - jetzt Feinde, jetzt Brüder -streckt der Mordstrahl nieder. - Empfangen und Geben - den Tod und das Leben - im wechselnden Tausch - wild taumelnd im Rausch!" Traum ein Leben. 1. Akt.

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