Seele“ zu verdanken. In dem bunten Treiben jenes Völkergemisches, in dem sich Orient und Okzident kreuzen, fand der empfängliche Knabe früh die mannigfachsten Anregungen, während sein Natursinn sich in dem reizend gelegenen Viniki, dem Heimatort jener Hanscha, zu schönster Blüte entwickelte. Mächtige Eindrücke von ganz anderer Art brachte das Aufstandjahr 1846; die von den ruthenischen Insurgenten gegen ihre polnischen Herren und Bedränger damals verübten Greuel mussten sich der Phantasie des zehnjährigen Knaben auf das lebhafteste einprägen, wie sie denn auch in seinen späteren literarischen Werken mannigfache Verwertung and poetische Ausschmückung gefunden haben. In ähnlicher Weise wirkten zwei Jahre später (1848) die Revolutionsszenen in Prag, wohin der Vater inzwischen als Hofrat und Polizeichef berufen worden war; hier erst, in dem - damals noch deutschen! - Prag erlernte der junge Leopold auch die deutsche Sprache. In der schönen Hauptstadt der Steiermark, in Graz, wohin der Vater 1853 in gleicher Beamtenfunktion übersiedelte, begann Sacher-Masoch seine Studien, promovierte 1855 zum Doctor juris und habilitierte sich im darauffolgenden Jahre, ein Zwanzigjähriger, als Privatdozent für deutsche Geschichte. Nach der Schilderung eines seiner damaligen Hörer: „ein zarter, schlanker Jüngling von beinahe knabenhaftem Aussehen“, der sein Kolleg über die Reformationszeit „etwas müde und abgespannt“ vortrug. Doch war es ihm ernst mit dem erwählten Beruf; und so gab er 1857 seine erste, mit Beifall aufgenommene historische Schrift „Über den Aufstand in Gent unter Karl dem Fünften“ heraus, die er dem jungen Kaiser Franz Joseph widmen durfte und der 1862 eine zweite, ihren Stoff derselben Zeitepoche entnehmende Schrift „Ungarns Untergang und Maria von Österreich“ folgte. Die dafür gemachten Spezialstudien erwiesen sich noch in anderer ungeahnter Weise fruchtbar; sie lieferten Sacher-Masoch den dankbaren Stoff zu dem ersten grösseren novellistischen Werke, mit dem er (1866) an die Öffentlichkeit trat - zu dem dreibändigen historischen Roman „Der letzte König der Magyaren“. Ein bedeutendes Werk, das viele spätere Schöpfungen seines Urhebers überragt, und dem Staube der Vergessenheit, der sich über geschichtliche Romane nur zu leicht breitet, wohl entrissen zu werden verdiente. Ich erinnere mich noch des gewaltigen Eindrucks, den mir dieses Jugendwerk des damals noch gänzlich ungenannten Autors machte, als es mir unmittelbar nach seinem Erscheinen während des Feldzuges von 1866 in Böhmen auf der Bibliothek des kleinen Lichtensteinschen Schlosses Ratay, wo ich für einige Zeit Quartier gefunden hatte, zufällig in die Hände geriet. Schon damals waren mir die eigentümlichen, herrschsüchtig despotischen und geradezu grausamen Züge auffallend, die Sacher-Masoch einzelnen Frauencharakteren, namentlich der (im übrigen stark ideali-

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