namentlich in der zweiten Hälfte, durchsetzt ist. Die „Helden“ und „Heldinnen“ (sit venia verbo) dieser Orgien scheinen das Bedürfnis zu fühlen; sich selbst und ihren Opfern bei jeder Gelegenheit die Notwendigkeit und Berechtigung ihres Handelns mit allem nur möglichen rhetorischen Aufwande vorzudemonstrieren und für ihre Grundsätze mit fanatischer Überzeugungstreue Propaganda zu machen. Seiner ersten Anlage nach weist das Werk auf die Zeit vor Ausbruch der Revolution zurück, da das Königtum Ludwigs des Sechzehnten und Marie Antoinettes noch als unerschüttert vorausgesetzt wird und wenigstens keine ausdrückliche Wendung auf die späteren Vorgänge der Revolution hindeutet. Übrigens scheint nach einzelnen, allerdings nicht sicher beglaubigten Angaben noch eine andere, aas späterer Zeit stammende Überarbeitung zu existieren.

Das zweite (der Zeit nach erste, allerdings unvollendet gelassene) Hauptwerk de Sades wurde nach dem von Dr. Eugen Dühren - Iwan Bloch - aufgefundenen Originalmanuskript „les 120 journées de Sodome ou l'école du libertinage par le marquis de Sade“ zuerst in Paris von dem Club des bibliophiles 1904 als Privatdruck veröffentlicht. Eine sehr gute deutsche Übertragung durch Karl von Haverland erschien in 2 Grossquartbänden als Privatdruck (in 650 Exemplaren) Leipzig 1909. Das Werk, obgleich von Rétif de la Bretonne und von Pisanus Fraxi erwähnt, galt bis zur sensationellen Wiederentdeckung des Manuskripts als gänzlich verschollen und mutmasslich vernichtet. Das Manuskript ist von de Sade in der Bastille, und zwar an 36 aufeinanderfolgenden Abenden, vom 22. Oktober bis 27. November 1785, von 7 bis 10 Uhr niedergeschrieben, auf lose Blätter, die der Verfasser der Länge nach sorgfältig aneinanderklebte, und, da er in der Bastille an stetem Papiermangel litt, auch rückwärts beschrieb. Das gesamte Manuskript bildete auf diese Weise einen 12,1 m langen, beiderseits mit den fast mikroskopisch kleinen Schriftzügen de Sades bedeckten aufgerollten Streifen. Es blieb, als der Marquis 1789 die Bastille verlassen durfte, mit anderen Handschriften dort zurück und befand sich in der Folge drei Generationen hindurch im Besitz einer Familie Villeneuve-Trans. Gegen die (anfangs nach der ersten Überraschung stark angezweifelte) Echtheit wird wohl bei gründlicher Kenntnisnahme kein irgendwie berechtigtes Bedenken aufkommen können - so gross ist die Übereinstimmung nicht bloss in der ganzen Fühl- und Denkweise, sondern auch in tausend kleinen Einzelzügen mit der übrigen literarischen Hinterlassenschaft de Sades. Dagegen kann ich der in gewissem Sinne übertriebenen Wertschätzung des - allerdings Torso gebliebenen - Werkes durch Herausgeber und Übersetzer nicht so unbedingt beistimmen. Man hat nämlich auf Grund dieser cent vingt journées de Sodome ihren Autor

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