die Nacht mit ihnen in einer Orgie zu verbringen. Am Morgen war es der Eingeschlossenen gelungen, sich von ihren Banden zu befreien und durchs Fenster zu springen; es kam zu einem grossen Auflauf; man drang ins Haus und fand den Marquis und die Genossen seiner Lüste sinnlos betrunken. De Sade wurde verhaftet, die Kammer von Tournelle leitete eine Untersuchung ein, die aber auf königlichen Befehl - es war die Zeit Ludwig des Fünfzehnten und der Stern der Dubarry eben im Aufgehen! - alsbald niedergeschlagen wurde, nachdem der Marquis seinem Opfer, der Rosa Keller, ein Schmerzensgeld von 100 Louisd’or bezahlt und damit seine Schuld gesühnt hatte.
In dieser Affäre tritt schon deutlich ausgesprochen jene eigentümliche Form der Kombination von Wollust und Grausamkeit hervor, die freilich nicht völlig demjenigen entspricht, wofür man den Ausdruck Sadismus im engeren Sinne geprägt hat, insofern die Vornahme grausamer Handlungen dabei nicht als Selbstzweck, sondern wesentlich als präparatorischer Akt, als Stimulus der Wollustbefriedigung zu dienen bestimmt ist: denn die Peitschung der Rosa Keller hatte allem Anschein nach den Zweck, de Sade zum Verkehr mit den beiden Mädchen in Stimmung zu bringen. Übrigens bewirkte der Vorfall in der Lebensweise de Sades keine ersichtliche Änderung. Er knüpfte mit der ihm, wie es scheint, wahlverwandteren Schwester seiner Frau ein Verhältnis an und machte in deren Begleitung eine längere Reise nach Italien. Wir mögen in den beiden ungleichen Schwestern wohl die Urtypen von Justine und Juliette vor uns haben, wie wir auch die Reise nach Italien in der Juliette vom Ende des dritten bis zum sechsten Bande, mit phantastischen Ausschmückungen natürlich, ausgiebig benutzt finden. Auf der Rückreise soll de Sade in Marseille (im Juni 1772) durch einen neuen Skandal zum Einschreiten der Behörden Veranlassung gegeben haben, indem er bei einer von ihm veranstalteten Orgie den dazu entbotenen Freudenmädchen, kantharidenhaltige Pastillen in solcher Dosis verabreichte, dass zwei der Mädchen an den Folgen des Genusses starben. Diesmal erging sogar von dem Parlament in Aix gegen de Sade und seinen Kammerdiener, die erst nach Genf und von da auf savoyisches Gebiet nach Chambery geflüchtet waren, ein Kontumazurteil, das beide wegen Sodomie und Giftmord zum Tode verurteilte; doch wurde dieses Urteil nach sechs Jahren, die die Schuldigen zum grossen Teil im Auslande zubrachten, kassiert und in eine dreijährige Verbannung von Marseille und fünfzig Livres Geldstrafe umgewandelt. Aus Vincennes, wo man ihn vorläufig eingesperrt hatte, wusste de Sade mit Hilfe seiner Frau (im August 1778) zu entkommen. Die obige Affäre erscheint allerdings, nach der neuesten Darstellung (von Cabanès) sehr abgeschwächt, auf einen einfachen, in einem Marseiller Bordell verübten Exzess ohne tödlichen Verlauf beschränkt; und auch über das Folgende existieren sehr verschiedene Versionen, die den Schauplatz bald nach Paris, bald nach Marseille verlegen und die Zeit des Vorkommnisses gleichfalls ziemlich unbestimmt lassen. Wiederum soll es sich um schreckliche Folgen der Kantharidenvergiftung bei eingeladenen Ballgästen, aus den Kreisen der vornehmen Welt - Herren und Damen - gehandelt haben. Der Marquis und seine Schwägerin - die hier immer unverhüllter als das Original der Juliette hervortritt - sollen beim Ausbruch der sich entwickelnden Schreckensszenen, die mehreren Damen das Leben kostete, schleunigst das Weile gesucht haben. Nach der von Brierre de Boismont wiedergegebenen Schilderung soll man ferner - es ist nicht klar, ob vor oder nach diesem verhängnisvollen Ballsouper - in einem Hause einer abgelegenen Strasse von Paris eine tief ohnmächtige junge Frau angetroffen haben, der an verschiedenen Stellen des Körpers die Adern geöffnet und zahlreiche Einschnitte mit der Lanzette beigebracht waren und die, mit Mühe ins Leben zurückgerufen, den Marquis, der sie in das Haus gelockt habe, nebst seinen Leuten als Urheber dieses Verbrechens anschuldigte. Auch hier hatten wie