1. Die geschlechtliche Befriedigung im Geschlechtsakte selbst ist mit Grausamkeit verbunden.
  2. Die nach dem Geschlechtsgenusse (zumal beim Manne) sich geltend machende körperliche und seelische Reaktion entladet sich in Widerwillen gegen den Genussteilnehmer und in verstärktem Antriebe zu Grausamkeiten ihm gegenüber.

Diese in solcher Formulierung zunächst schroff erscheinenden Leitsätze bedürfen einer etwas näher eingehenden - und natürlich zum Teil einschränkenden - Erläuterung.

1. Aus der voraufgehenden, kürzere oder längere Zeit ungestillt bleibenden Geschlechtsbegierde, der sexualen „Libido“ entspringt ein Unlustgefühl, das sich gern in Akten der Gewaltsamkeit und der Grausamkeit entladet. Auch viele Tiere (Kühe, Stuten, Hühner - Büffel, Hunde, Störche, Tauben usw.) werden in Zeiten des geschlechtlichen Erethismus derartig erregt, dass sie alles was ihnen zu nahe kommt, sogar den Gegenstand ihrer Begierde selbst, beissen und töten. Das „Beissen“ speziell ist überhaupt eine häufige Begleiterscheinung der sexualen Erregung - vielleicht (im Sinne von G. Jäger) auf Grund der engen Beziehungen des Geruchsinns zur Wollust, indem der Innervationsapparat der Beissmuskeln durch den geschlechtlichen Ausdünstungsgeruch in analoger Weise wie sonst durch Nahrungsgerüche reflektorisch erregt wird. Auch das Küssen - das übrigens, wie es scheint, dem „Urmenschen“ gänzlich unbekannt war und als ein noch jetzt lediglich der weissen Rasse zukommendes Prärogativ betrachtet wird - ist ja im Grunde nur ein gemildertes und besänftigtes oder, wenn man will, symbolisch andeutendes Beissen. Die erotologische Literatur der Inder hat mit der ihr eigenen, fast pedantischen Methodologie das Beissen (und Schlagen) der verschiedenen Körperteile als Vor- und Begleiterscheinungen des Liebesaktes zu einer förmlichen Systematik herangebildet1). Es dürfte nicht ganz abzuweisen sein, dass, wie Gustav Jäger annimmt, die Geruchstoffe auch bei gewissen sadistischen Erscheinungen eine wesentliche Rolle spielen, indem z.B. beim Lustmord der Angstduft des Opfers auf den Täter erregend, Lustgefühl erweckend wirkt - wie ja auch in der Tierwelt beim Spielen der Katze mit der Maus, beim Wegtragen der


1)Vgl. Richard Schmidt, Beiträge zur indischen Erotik. Das Liebesleben des Sanskritvolkes, nach den Quellen dargestellt. Zweite umgearbeitete Auflage. Berlin W 30, Hermann Barsdorfs Verlag, 1911. - Ebenda: Das Kamasutram des Vatsayana. 3. Auflage.

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