Dieses Werk ist ein Anfang.
Seit jeher organisieren sich Sadomasochisten, wie neben und mit ihnen die Homosexuellen, in sogenannten Subkulturen. Selbst unsere schärfsten Kritiker bescheinigen uns eigene Sitten, Rituale, Literatur und Geschichte.
Wer als Sadomasochist einen Einblick in diese, in seine Kultur und ihre Umgangsformen haben wollte, musste sich eigenständig durch Bibliotheken quälen, das Glück haben, zur richtigen Zeit den Fernseher angeschaltet zu haben, oder sich bei erfahreneren Mitgeneigten durchfragen. Sehr oft blieb es dann bei einem "lies mal das" oder "frag mal den", häufig genug war die Zeit zu knapp oder die Praxis rief zu laut. Meist wird das Wissen um und über den Sadomasochismus selbst in der Subkultur nur mündlich weitergegeben.
Dieses Werk ist ein Versuch, das unfangreiche, aber völlig fragmentierte und über hunderte von Quellen verstreute Wissen über den Sadomasochismus, seine Subkultur und seine Geschichte möglichst vollständig zu erfassen. Ein Ziel, das unrealistisch hoch gesteckt ist und niemals zu erreichen sein wird, von dem wir aber meinen, dass der Versuch sich lohnt.
Nicht zuletzt ist es ein Ansatz, uns unsere Sprache zurückzuholen. Zu lange sind die Begriffe, die uns beschreiben, durch Ärzte und Sexualwissenschaftler geprägt worden. Wir wollen gerne dazu beitragen, daß die Worte für unser Tun durch die Praktizierenden geprägt werden.
Der Papiertiger hat einige Makel und etliche Eigenheiten. Welche Informationen aufgenommen wurden, hing oft mehr davon ab, welche uns gerade in die Hände fielen, als welche wirklich wichtig sind. Daher werden besonders einige Gruppen in der organisierten, deutschen oder österreichischen Subkultur mit Erschrecken feststellen, daß vielleicht gerade ihrem Verein weniger Platz eingeräumt wurde als irgendeiner jährlichen Veranstaltung in, sagen wir mal, Australien. (In so einem Fall freuen wir uns natürlich, wenn wir Material für eine Korrektur dieses Missverhältnisses zur Verfügung gestellt bekommen.) Sehr viele Einträge leiden darunter, dass für sie nur eine Quelle zur Verfügung stand. Einiges ist auch sicher noch ganz übersehen worden. Das Ziel für die erste Version konnte nicht sein, aus dem Stand ein perfektes Werk zu schaffen, sondern eine Grundlage, auf die später aufgebaut werden kann. Wir hoffen, die gröbsten Makel in diesen Versionen beseitigen zu können.
Kleine Teile des Papiertigers sind auch auf Englisch. Einmal liegt das daran, dass wir für Übersetzungen meist keine Zeit hatten. Daneben muß man der Tatsache ins Auge sehen, dass der Löwenanteil der Literatur über und von Sadomasochisten aus den USA kommt, die wichtigsten Vordenker sich dort befinden, und sich daher eine gewisse kulturelle Dominanz herausgebildet hat.
Verwandt damit ist die Tatsache, daß es nicht einmal in der sadomasochistischen Subkultur selbst einheitliche sprachliche Konventionen für Begriffe und Definitionen gibt. Wie man überhaupt Sadomasochismus definiert, kann eine abendfüllende Diskussion sein. Für die Arbeit am Papiertiger einigte man sich daher auf einen gewissen Satz von Begriffen, die zu einem grossen Teil den "internationalen" Konventionen der sadomasochistischen Diskussionsgruppen im Internet folgen -- und daher am Anfang etwas eigenwillig wirken können. Diesem ganzen Komplex ist der Anhang 1 gewidmet.
Der Papiertiger ist von Sadomasochisten für Sadomasochisten geschrieben und nimmt daher wenig Rücksicht auf die in vielen Fällen völlig anders aufgebaute Empfindungswelt von Vanilles. Vielmehr wird von einem emotional fachkundigen Leser ausgegangen, der durch sein eigenes Erleben und seine Neigungen die Information in den Einträgen in den richtigen Kontext zu setzen vermag.
Trotzdem, oder gerade deswegen, ist der Papiertiger kein Anleitungstext für sadomasochistische Praktiken. Wer hier nach einer Erklärung sucht, wie man eine Gerte schwingt, wird nicht fündig werden -- aber vielleicht einen Verweis auf eine gute Anleitung finden. Anleitungsbücher gibt es schon jede Menge, auch wenn sie meist auf Englisch sind, und Workshops und Kurse der einzelnen sadomasochistischen Organizationen sind sowieso die besseren Orte, um sichere Praxis zu lernen. Da man Sicherheitshinweise allerdings nicht oft genug wiederholen kann, sind sie auch hier enthalten.
Der Papiertiger ist auch kein pornographisches Werk. Wo die Wahl zwischen Verständlichkeit und Repräsentanz der Darstellung auf der einen und erotischer Ausstrahlung auf der anderen Seite stand, zog die erotischere Variante den Kürzeren. Auch wenn der Papiertiger nicht für Kinder oder Minderjährige geschrieben wurde, ist er nicht jugendgefährdend. Die weitverbreitete Auffassung, dass von der Norm abweichende sexuelle Vorlieben durch das Lesen entsprechender Werke bei Jugendlichen induziert würden, hat sich schon im Falle der Homosexualität nicht halten lassen. Für den Sadomasochismus ist sie genauso unsinnig und unbelegt. Alle uns bekannten Studien zeigen, daß ein Großteil der Sadomasochisten sich zum Teil schon weit vor der Volljährigkeit ihrer Neigung bewusst ist.
Der Papiertiger ist ein Ergebnis der Informationspolitik der Datenschlag-Gruppe und folgt daher ihren Leitlinien. Der Papiertiger soll nicht missionarisch wirken oder für unsere Gefühlswelt werben; er soll informieren.
Jede Form der kommerziellen Nutzung ist verboten. Näheres zu diesen Themen in den Kapiteln Copyright und Danksagungen. Die Literatur ist größtenteils kommentiert. In Anhang 2 ist ein Satz von denkwürdigen oder auch nur witzigen Zitaten zum Thema aufgeführt und Anhang 3 enthält die deutsche Übersetzung der FAQ der Internetgruppe alt.sex.bondage.
Besonders diese erste Version wird für erfahrene Sadomasochisten wenig enthalten, was sie nicht schon wissen, und viel enthalten, was sie als diskussionswürdig oder sogar falsch sehen werden. Letzten Endes entsteht dieses Werk nicht für die, die durch Erfahrung und Studium schon viel wissen, sondern für die, die neu in eine Subkultur eintreten, deren Facettenreichtum und Geschichte schwer zu überschauen sind.
Die sanfte Selbstironie in dem Namen Papiertiger ist nicht geplant gewesen, aber durchaus beabsichtigt. Nicht umsonst ist eine Katze auf dem Deckblatt dargestellt und kein ausgewachsener Tiger. Um wirklich groß zu werden, muss er gehegt, gepflegt, und vor allem gut gefüttert werden.
Viel Spass.
Im Papiertiger werden den allgemeinen sprachlichen Konventionen entsprechend die männlichen Formen für Begriffe und Beispiele benutzt, also Sadomasochisten statt SadomasochistInnen. Dies geschieht aus Platz- und Lesbarkeitsgründen und stellt keine Diskriminierung gegenüber bestimmten Geschlechtern oder sexuellen Orientierungen dar. Wo es die Umstände diktieren, werden natürlich die genaueren Formen benutzt.
Es ist von Seiten der Frauenrechtler behauptet worden, dass eine Frau nackt sein müsste, um in die Kunst zu kommen -- sprich, es gibt kaum weibliche Künstler, dafür aber keinen Mangel an weiblichen Akten als Motive. Leider trifft das im Moment auch auf die Bilder im Papiertiger zu. Wir hoffen, diesen Missstand in den kommenden Versionen ändern zu können.
He who loves discipline loves knowledge
- Sprichwörter 12,1 (englische Version)
Der Sadismus kommt nun keineswegs selten vor, wie der Leser vielleicht geneigt ist, anzunehmen. Wir finden ihn in der Vergangenheit eben so wie in der Gegenwart und eine vollständige Geschichte des Sadismus würde unzählige Bände füllen.
- Dr. A. Sper (Hans Rau) zitiert in Marquis de Sade1
Literaturhinweise:
1 Farin, Michael (Hrsg.):
Marquis de Sade - Der Mensch ist böse. Ein erotisch-philosophisches Lesebuch. [Details]
Stand: 29.11.2000.
Webmaster
© 1995 - 2001 by Datenschlag - Alle Rechte vorbehalten