Fetischismus. Der Name ist der Völkerkunde entnommen. Nach Schurtz versteht man darunter »die Verehrung zufällig aufgegriffener oder phantastisch geformter Dinge, denen man Einfluß auf das eigene Ich zuschreibt«. Der Fetischdienst dürfte als eine Abart des Dämonenglaubens aufzufassen sein: der primitive Mensch dachte sich die Geister an gewisse unbelebte Gegenstände gebunden und schreibt ihnen einen Einfluß auf die Geschicke des Menschen zu. Zuerst mag er sich wohl diese Gegenstände als Wohnsitz der Geister gedacht haben, später sah er sie nur als deren Symbole an, mit denen sie in Beziehung stehen. Der Fetischglaube hat seine größte Verbreitung bei den Negerstämmen gefunden (s. Bilderlexikon I, S. 355). - Im normalen Liebesleben des Menschen pflegen bestimmte Eigenschaften der Person, die Gegenstand der Zuneigung oder des geschlechtlichen Verlangens ist, diese begehrenswert erscheinen zu lassen. Entweder sind es körperliche sowie seelische Eigenschaften oder Kleidungsstücke derselben, die einen sexuellen Reiz ausüben. Der eine schwärmt mehr für dicke, der andere mehr für schlanke Frauen, der eine ist mehr für brünette, der andere für blonde eingenommen, der eine liebt lange Zöpfe, der andere einen Haarschnitt nach Männerart u.a.m. Bald ist die Form der Nase oder des Mundes oder die Größe der Augen, bald das Lächeln, üppige Brüste, runde Arme, kräftig gebaute Hüften, kleine Füße, dünne Fesseln, Weichheit oder Derbheit, was am Leibe des geliebten Gegenstandes reizt. Auch bestimmte seelische Eigenschaften können zum Gegenstand der Zuneigung werden, besonders für das weibliche Geschlecht, wie Ritterlichkeit, Redegewandtheit, reiches Wissen, schöner Gesang u.a.m. Ebenso ist die Kleidung ein Reizmittel, wie Schnitt und Schick derselben, Farbenfreudigkeit (Uniform), im besonderen aber einzelne Kleidungsstücke, wie Handschuhe, Schuhe, Strümpfe; ferner sind Parfüme sowie die dem andern Partner entströmenden spezifischen Düfte (Haar) geeignet, sexuell zu erregen. Schließlich löst auch der Stoff der Gewandung einen Reiz aus, wie das Knistern der Seide, die Weichheit des Pelzes, die Molligkeit des Pelzes, der süßliche Geruch des Juchtenleders u.a.m. - Solcher Fetischismus muß als normale Erscheinung aufgefaßt werden; er ist für das normale Liebesleben durchaus erforderlich. Wenngleich hier eine bestimmte Eigenschaft der geliebten Person bei dem Partner die Lustgefühle auslost und dieselbe deshalb begehrenswert erscheinen läßt, so bleibt doch die gesamte Persönlichkeit, die sonst gar nicht einmal reizvoll erscheinen mag und vielleicht direkt Fehler besitzt, für den Betreffenden das Ziel seiner Wünsche. Das betreffende Merkmal ist eben das Symbol der Wesensdarstellung für die Gesamtheit der geliebten Person. Es kann diese Gesamtheit aber auch dem einzelnen Merkmal gegenüber mehr oder weniger in den Schatten treten. Dann spricht man von abnormem Fetischismus. Bei diesem spielt also für den Liebenden das einzelne Merkmal, der Körperteil oder ein Kleidungsstück, die Hauptrolle; die Bedeutung der gesamten Persönlichkeit tritt diesem gegenüber zurück. Während der Fetisch beim normal veranlagten Menschen nur insofern verehrt wird, als er zur geliebten Person gehört, steht er beim pathologischen Fetischismus im Mittelpunkt der Verehrung und Schwärmerei; er allein wird zum Gegenstand der Entladung sexueller Spannkraft. Allerdings kann man im einzelnen Falle nicht immer sagen, hier liegt normaler und dort abnormer Fetischismus vor; die Uebergänge zwischen beiden sind fließende. - Gegenstand des krankhaften Fetischismus sind in erster Linie weibliche Kleidungsstücke, wie Nachthemd, Nachthaube, Strümpfe, Stiefel, Handschuhe, Schürzen, Taschentücher, Korsetts usw., ferner Zöpfe. Alle diese Gegenstände werden in Menge von dem Fetischisten gesammelt und unter Umständen durch Diebstahl erworben. Eine recht häufige Erscheinung sind die Schuh- und Stiefel-, sowie die Taschentücherfetischisten. In anderen abartigen Fällen richtet sich das sexuelle Verlangen auf bestimmte Trachten; so ist beobachtet worden, daß Brauttoiletten, Kellnerinnenanzüge, Nonnentracht, bestimmte Kostüme, wie Tirolersängerinnen, Leichengewänder und Perücken geschlechtlich erregend einwirkten. Von Paris wird berichtet, daß in den dortigen Freudenhäusern man eine große Auswahl an Trachten und Masken vorrätig hält, um sie Fetischisten, die sie zur Stillung ihrer geschlechtlichen Triebe benötigen, zu überlassen. Gomy erzählt von einem Manne, der mit seiner Frau nur den Beischlaf auszuüben imstande war, wenn sie sich eine Perücke aufgesetzt hatte, und daß dieser im Verlaufe von fünf Jahren die stattliche Anzahl von 72 Stück zu verzeichnen hatte, denn die Wirksamkeit der einzelnen Perücke hielt nur etwa drei Wochen an. Eine alte Frau, die bis dahin sexuell frigide gewesen war, wurde im Kriege beim Anblick der Ledergamaschen eines Offiziers in geschlechtliche Aufregung versetzt (Hirschfeld). Schließlich finden abnorme Fetischisten ihre sexuelle Befriedigung, wenn sie gewisse Gerüche einatmen, wie von Kleidungsstücken, die mit Urin oder Schweiß getränkt sind, von ungewaschenen Füßen, berußten Händen, schmutzigen Stiefeln usw. Manche Fetischisten können den Beischlaf nur vollziehen, wenn sie den betreffenden Gegenstand vor sich sehen - sie hängen ihn daher vor ihrem Bette auf - oder wenigstens ihn sich in Gedanken vorstellen. Von seelischen Eigenschaften kommen für den Fetischisten abnorme Aeußerungen, wie Grausamkeit und Brutalität, in Betracht. Hier haben wir bereits Uebergänge zum Masochismus. Der Sadismus äußert sich in dem Triebe, den betreffenden Gegenstand des Weibes, der sexuell aufregt, zu zerreißen, auf- oder abzuschneiden oder auch mit ätzender Flüssigkeit zu begießen, auch den betreffenden Körper zu verletzen, um in dessen Besitz zu gelangen. Es kommt hierbei wie ein Rausch über den Fetischisten, so daß er seinem Triebe nicht widerstehen kann. Dabei verspürt er nicht selten wollüstige Gefühle. So hatte ein Fetischist beim Abschneiden von Zöpfen, was in den Großstädten von Zeit zu Zeit geschieht, beim Knirschen der Schere einen Samenerguß. - Mit allen den angeführten Gegenständen treibt der Fetischist einen richtigen Kultus. Ihr Anblick wirkt auf ihn geschlechtlich erregend. Er betastet sie liebevoll, streichelt und küßt sie und verspürt dabei ein wollüstiges Behagen, meistens einen richtigen Orgasmus; auch befriedigt er dabei seine Lust durch Selbstbefriedigung. Für den normalen Geschlechtsakt ist er zumeist unfähig; aber, wie wir schon sahen, vermag er ihn bei ihrem Anblick auch auszuüben. - Beim weiblichen Geschlecht scheint der Fetischismus häufiger als beim männlichen zu sein, allerdings ist er bei jenem nicht so stark ausgeprägt. Es sei an die Vorliebe der Frauen für zweierlei Tuch, die Schauspieler und Heldentenore erinnert. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der krankhafte Fetischismus einen abnormen Seelenzustand vorstellt, was sich auch darin zeigt, daß Fetischisten oft genug noch andere Abweichungen ihrer seelischen Verfassung erkennen lassen. Kornfeld sah in seinen Fällen stets neurotische Züge vorliegen und nicht selten Infantilismen. Wir können somit als Ursache dieses Zustandes eine abnorme Konstitution des Geschlechtstriebes annehmen, die schon in frühester Jugend zumeist durch Zufälligkeiten in die perversen Bahnen gelenkt wird. Begünstigt wird diese Richtung durch erbliche Veranlagung, starke Entwicklung des Geschlechtstriebes und frühzeitige sexuelle Reife. - Auch die Psychoanalyse hat versucht, die Entstehung des Fetischismus zu erklären. Stekel hat in diesem Sinne eine solche versucht, die Klieneberger, wie folgt, zusammenfaßt. Nach dieser beruht der Fetischismus nicht auf Veranlagung, sondern stellt eine Krankheit vor, eine Zwangsneurose. Sein letztes Wesen ist ein Abrücken von dem andern Geschlecht, eine Flucht vor ihm. Der Fetischist entwertet das andere Geschlecht, das für ihn in geschlechtlicher Hinsicht überflüssig gemacht wird. Die Tendenz des Fetischismus ist autoerotisch; er lebt sich in der Onanie aus. An einer Anzahl Beispiele, die er sorgfältig analysiert hat, zeigt Stekel, daß stets die gleichen Entstehungsursachen und die gleiche Tendenz vorliegen. Sie stehen in engem Zusammenhange mit dem Inzestproblem. Zunächst weist der Fetischist einen abnorm starken sexuellen Trieb auf, der infolgedessen frühzeitig sich auf die Familie richtet. Kindheitserlebnisse sind bestimmend für die Bahn, die er einschlägt. Neben dem Lustkomplex (nach verbotener Lust) geht bei ihm ein Schuldkomplex einher. Der Fetischist flüchtet sich aus Furcht, in die Sünde zu verfallen, und aus Gründen der Buße in den Zwang seiner Neurose. Da sein Sexualtrieb sein Ziel, z.B. die Mutter, nicht erreichen kann, nimmt er fortan von jeglicher Form der Sexualität Abstand. »Der Fetischismus soll ihm eine Art Keuschheit, eine Askese sichern, für die er besonderen göttlichen Lohn erwartet ... So ist der Fetischismus zugleich eine Art Religion, ein Komplex zwischen übermäßiger Sexualität und starker Frömmigkeit. Der Fetischist schlägt sich an das Kreuz seiner Neurose (Christusneurose), an der er mit einem narzistischen Stolz hängt. Er zeigt oft Züge von Hypochondrie (während der Hypochonder aus seiner Krankheit und ihren Symptomen einen Fetisch macht, in den er völlig verliebt ist). Endlich ist in allen Fällen eine kriminelle (sadistische) Komponente zu erkennen, die aus ihrer ursprünglichen, nach außen gerichteten Haßeinstellung sich zum Masochismus (dem gegen das eigene Ich zurückflutenden Haß) wandeln kann. Wurzel dieser Haßeinstellung ist das (vielfach an falscher Stelle einsetzende, vielfach durch seine Form verletzende) Onanieverbot der Eltern.« Auch der Umstand, daß man durch eine gründliche psychagogische Behandlung in der Psychose bei krankhaftem Fetischismus gute Erfolge erzielt, wie die Erfahrungen Kornfelds zeigen, scheint für Stekels Hypothese zu sprechen. In forensischer Hinsicht wird unter Umständen zu erwägen sein, ob bei einer kriminellen Tat eines Fetischisten (Diebstahl, Zopfabschneiden, Kleiderverletzungen u.a.m.) nicht § 51 (Ausschluß der freien Willensbestimmung) in Betracht zu ziehen sein wird. Eine eingehende Untersuchung und Psychoanalyse des Inkulpanten (Veranlagung, Kindheitserlebnis, starker sexueller Trieb) wird feststellen können, ob die Impulsivität bei ihm so stark war, daß der Fetischist ihm nicht zu widerstreben vermochte. (Literatur: Binet, Du fétichisme dans l'amour. Revue philosoph. 1887 - H. Ellis, Studies in the psychology of sex. V. Philadelphia 1906. - Klienberger, Ueber Pubertät und Psychopathie. Wiesbaden 1895 - Krafft-Ebing, Psychopathologia sexualis. 16. Aufl. Stuttgart 1924. - Moll, Fetischismus in Eulenburgs Realencyclopaedie, d. med. Wissenschaften, 4. Aufl. IV, S. 820, Wien 1908).
Georg Buschan: Eintrag "Fetischismus" im "Bilder-Lexikon Sexualwissenschaft" (1930); Details siehe [Bus30]
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