Aus solchen Tatsachen lässt sich der Schluss ziehen, dass der Masochismus eigentlich eine rudimentäre Form der konträren Sexualempfindung ist, eine partielle Effeminatio, welche nur die sekundären Geschlechtscharaktere der psychischen Vita sexualis ergriffen hat; eine Ansicht, die ich schon in der 6. Auflage dieses Buches zum Ausdruck gebracht habe.

Diese Annahme findet eine Stütze darin, dass heterosexuelle Masochisten sich mehr als weiblich 1) fühlende Naturen bezeichnen, und tatsächlich auch der Beobachtung gegenüber weibliche 2) Züge aufweisen. So wird es auch verständlich, dass masochistische Züge so überaus häufig bei homosexual 3) fühlenden Männern anzutreffen sind.

Aber auch beim Masochismus feminae finden sich solche Beziehungen zur konträren Sexualempfindung.

So fühlt, wenigstens im Traumleben, im Fall 85 die betr. Dame sich als Sklave dem Phantasiegebilde des geliebten Mannes gegenüber und wundert sich selbst darüber, nie in der Rolle der Sklavin zu erscheinen. Die von ihr versuchte Erklärung dieser übrigens auch im wachen Leben anklingenden Tatsache ihres Bewusstseins ist folgende: sie denkt sich als Mann, der ja von Natur stolz und hochstehend ist, weil dadurch die Erniedrigung vor dem geliebten Manne um so grösser erscheint. Diese Erklärung ist nicht recht annehmbar. Dass es sich nicht um geschlechtliche Hörigkeit (Trugform des Masochismus) handelt, geht daraus hervor, dass diese Dame sich äusserte: "ich stellte mir auch vor, ich sei eine Sklavin; das genügt mir aber nicht, das kann am Ende jedes Weib - seinem Manne als Sklavin dienen."

Von hohem Interesse für die Beziehungen des Masochismus feminae ist folgende Beobachtung von Moll betreffend Homosexualität eines Weibes mit passivem Flagellantismus und Koprolagnie:

Beobachtung 88. Frl. X., 26 Jahre, belastet. Seit dem 6. Jahre Cunnilingus mutuus [gegenseitiger Cunnilingus], von da bis zum 17. Jahre deficiente occasione [aus Mangel an Gelegenheit] solitäre Masturbation. Von da ab bis zur Gegenwart Cunnilingus mit diversen Freundinnen, wobei sie bald aktiv, bald passiv war und jeweils Ejakulationsgefühl hatte. Seit Jahren auch Koprolagnie. Maxime delectata fuit lambendo anum feminarum amatarum, lambendo sanguinem menstrualem amicae [Es bereitete ihr großes Vergnügen, den Anus der Geliebten zu lecken, das Menstruationsblut der Freundin zu lecken]. Den gleichen Effekt hatten verbera amicae delectae nudae robustae ad nates [Schläge der nackten, kräftigen Freundin aufs Gesäß]. Der Gedanke, in corpore viri [mit einem Mann] Koprolagnie zu treiben, war ihr widerlich. Befriedigung durch Cunnilingus viri [Cunnilingus mit einem Mann] gelang nur, wenn ihre Phantasie statt des vir eine femina unterschob. Coitus cum viro [Geschlechtsverkehr mit einem Mann] liess sie unerregt. Erotische Träume waren auschliesslich homosexuell und drehten sich um aktiven oder passiven Cunnilingus. Inter osculationem mutuam maximam offert voluptatem morsus consortis [Beim Küssen bereiteten ihr Bisse durch die Partnerin die größte Wollust],


1) Vgl. Beob. 57 und 58, in welchen anderweitige Züge von Effeminatio auftauchen, die betr. Personen beide ein relativ älteres Weib, von dem sie aufgesucht und erobert werden möchten, als Ideal bezeichnen.

2) s. z. B. Fall 70 bei Schrenck-Notzing; observ. 20 bei Féré, l'instinct sexuell p. 262.

3) Vgl. Schrenck-Notzing Fall 67; Moll, kontr. Sexualempfindung, 3. Aufl. S. 265 (Herr, der einen Offizier in Briefen anschwärmte und ihn ernstlich bat, ihm die Stiefel putzen zu dürfen); ebenda p. 281 (Herr, von zwei Wünschen beherrscht: 1. Weib zu sein und mit dem geliebten Mann zu koitieren, 2. vom Geliebten misshandelt zu werden); ebenda Fall 17; ebenda p. 283 (Mann, der nur dann beim Akt mit anderem Manne befriedigt wird, wenn dieser ihm mit Bürste den Rücken blutig reibt); p. 284 (Koprolagnie), p. 317: v. Krafft, Psychop. sexual 6. Aufl. Beob. 43; 8. Aufl. Beob, 46, 114, 115; derselbe, Jahrb. f. Psychiatrie XII, p. 339 und 351; derselbe "Arbeiten" IV. p. 134.

161 162 163

Index & Copyrighthinweise