Schlimmer und folgenreicher war das Schicksal der schönen Théroigne von Méricourt. Diese als Amazone von Lüttich oder als „belle Liègeoise“ vielgefeierte Strassenheldin der französischen Revolution - Lamartine nennt sie „la Jeanne d’Arc impure de la place publique“ - wurde von den „Tricoteusen“, fanatischen Jakobinerinnen, am 21. Mai 1793 bei hellem Tage auf der Terrasse der Tuilerien überfallen, niedergeworfen, schmählich entblösst und mit Ruten gezüchtigt. Sie verfiel vor Schmerz und Wut in Raserei, und verbrachte den ganzen zwanzigjährigen Rest ihrer Tage, zuletzt in fast tierischer Herabgesunkenheit, in einer Zelle des Irrenhauses Bicêtre1). Wir erfahren, dass die ihr in moralischer Hinsicht so unähnliche schöne Prau Roland damals eingestandenermassen Tag und Nacht von der Angst verfolgt wurde, dass der Pariser Pöbel auch ihr das Schicksal Théroignes bereiten könnte, und dass das Tragen von caleçons seitens der Damen als ein freilich ungenügendes Schutzmittel für die exponiertesten Körperteile seitdem allgemein aufkam. An Théroigne vollzog sich freilich die Nemesis; hatte sie doch nicht nur ihren literarischen Gegner Suleau, den talentvollen jungen Verteidiger der Sache des Königsthrons, bei Gelegenheit des Augustaufstandes 1792 mit penthesileenhafter Wut hingemordet, sondern etwas später in jenen blutigen Septembertagen auch eine der entsetzlichsten Henkerszenen dieser Mordtage inspiriert und geleitet - die kannibalische Hinschlachtung einer unter dem Namen des schönen Blumenmädchens („la belle bouquetière“) bekannten weiblichen Untersuchungs-Gefangenen der conciergerie du palais am 3. September 1792. Dies Mädchen war beschuldigt, an ihrem treulosen Geliebten, einem Grenadier der französischen Garde, aus Eifersucht einen Verstümmelungsversuch gemacht zu haben, und das gab ihren Henkern die Idee, nach Théroignes Vorschlag einen Akt unmittelbarer Wiedervergeltung an ihr zu vollziehen. Der Autor der histoire des Girondins schildert den grässlichen Vorgang folgendermassen2):


1) Vgl. Lamartine, Histoire des Girondins, I-III, livre 21, IV, pag. 137-139. - Pellet, Etude historique et biographique sur Théroigne de Méricourt, Paris 1886.

2) L. c. t. III, livre 25, pag, 271. - An der Tatsächlichkeit des Berichtes ist, so märchenhaft er auch klingt, kaum zu zweifeln. Michelet, der Freund der Montagne, gibt in seiner histoire de la revolution freilich nur eine kurze Hindeutung. Dagegen findet sich in der „Collection des mémoires relatifs à la révolution française (mémoires sur les journées de Septembre 1792)", Paris 1823, p. 349, die Szene nach zeitgenössischen Quellen fast wörtlich übereinstimmend mit der obigen Darstellung geschildert. („Elle fut attachée à un poteau, nue, les jambes écartées, les pieds clonés oontre terre, les seins coupés à coups de sabre, on employa pour la faire expirer et le fer et le feu d’une maniere que la pudeur et l’humanité défendent de retracer.")

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