Zu den merkwürdigsten, vom individual-psychologischen und soziologischen Standpunkte gleichermassen interessanten psychosexualen Abnormitäten gehört unzweifelhaft jene eigenartige Vermischung von Wollust und Grausamkeit, die wir im Hinblick auf einen ihrer jedenfalls markantesten Typen, ihren in Theorie und eigener Lebenspraxis bewährtesten, meistgenannten literarischen Vertreter als Sadismus bezeichnen.
Es darf dabei allerdings nicht ausser acht gelassen werden, dass dieser Ausdruck, der von französischen Autoren, Volksgenossen des Marquis de Sade, ursprünglich geprägt und bei uns durch Krafft-Ebings vielverbreitete Psychopathia sexualis in Kurs gesetzt wurde, in der französischen und deutschen Literatur keineswegs in derselben Bedeutung oder wenigstens nicht in dem nämlichen Begriffsumfange allgemein Geltung erlangt hat. In der französischen Literatur gilt dieser Ausdruck vielfach als Kollektivbezeichnung für eine recht ansehnliche Zahl psychologisch wohl in einem gewissen verwandtschaftlichen Verhältnisse stehender, aber in ihren Äusserungen und Erscheinungsweisen überaus heterogen gestalteter psychosexualer Abnormitäten oder Perversitäten - deren männliche oder weibliche Träger man demgemäss als Sadisten (sadistes), deren hierhergehörige Handlungen man als sadistische oder sadische Akte (actes sadiques) bezeichnet. Das Wort Sadismus wird dabei fast gleichwertig mit der weitestgehenden Abirrung des Geschlechtssinnes (aberration du sens génesique) im Sinne von Moreau de Tours, dem Schöpfer dieser vielgebrauchten und missbrauchten Bezeichnung. In diesem Sinne finden wir es, um nur einzelne literarische Beispiele hervorzuheben, in dem inhaltreichen Werke von A. Coffignon (la corruption à Paris; 22. Kapitel: le sadisme pag. 315 ff.) und ebenso bei Leo Taxil (la corruption fin de siècle, nouvelle édition, Paris 1894; le sadisme pag. 213 ff.) Coffignon reiht in die Schar der sadistes als der geistigen Abkömmlinge des berühmten Marquis alle in der Liebe Blasierten, nach einer neuen Sensation lüstern Haschenden, die Erotomanen, die maniaques en amour; er kommt so zur Aufstellung von drei Hauptgruppen, den blasés, den monomanes und endlich den passionels, unter denen sich aber nur die letzteren mit dem bei uns gebräuchlichen Begriffe des Sadismus einigermassen
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